Vor 6 Jahren betrat ich die Bischofsburg zum ersten Mal. Damals trug sie diesen werbeträchtigen Namen noch nicht. Ich sollte für ein Buch fotografieren. Spannung und Vorfreude schwanden, nachdem der damalige Ortsbürgermeister Merkel die Tür aufgeschlossen hatte. Wir spürten nicht den Hauch der Geschichte, sondern Verfall, Vandalismus, Schmutz und die Zweckentfremdung der letzten Jahrzehnte. Lediglich die Wendeltreppe ließ sich mit einiger Mühe als historisches Motiv einfangen. Dann gelangten wir auf den Dachboden. Dieser war vor Jahrzehnten beräumt worden. Sonnenlicht fiel durch die defekte Dachhaut, zentimeter hoher Staub wirbelte auf. In einem Lichtstrahl stand ein Dreirad mit roten Rädern. Nur dieses Dreirad, weiter nichts. Dabei sind Dachböden oft Stätten der Erinnerung – Schränke mit alten Klamotten, Kartons voller Bücher und Dokumente, biografisches Strandgut vergangener Generationen.
Burgherr, Hofarbeiter und Hausmeister Matthias Prasse (r.) mit
dem Vereinsvorsitzenden Jörg Uhlmann (l.)
Das Foto, eingerahmt in wurmstichiges Holz jahrhundertealter Dielen, heißt „Vergessen“. Gemeint ist ein Geisteszustand, in dem bei zunehmender Leere als Einziges nur noch die Erinnerung an die Kindheit verbleibt … Vergessen – das schien auch das Schicksal dieses wohl ältesten Profanbaus in unserer Aue zu sein.
Ganz anders der Eindruck, der sich den Teilnehmern unseres Herbstfestes bot. Die von baulicher Verfremdung befreite Eingangshalle präsentierte gewaltige Deckenbalken, steinerne Wände, historische Möbel. Der Burgherr, der im Spannungsfeld dringend anstehender Arbeiten, seiner Aufgaben als Gastgeber, seiner Pflichten als Vater (herzlichen Glückwunsch!) und Betreiber eines suboptimal ziehenden Ofens an nachvollziehbare Belastungsgrenzen stieß, vermittelte kurzweilig einen historischen Überblick.
Die Gründung der Burg, die sich nicht ganz klar aus dem Nebel der Geschichte erhellen lässt, war in ihrem mittelalterlichen Betrieb zunächst mit der Salzproduktion in Halle verbunden. Die Straße, auf der das wertvolle Handelsgut bis ins Fränkische und Bayrische transportiert wurde, führte in Burgliebenau über die Elsterbrücke. Hier wurde der Verkehr von Personen und Gütern kontrolliert. Politische Bündnisse, Intrigen und Mord beeinflussten im 14. Jh. die Bedeutung der Burg. Einen bemerkenswert friedlichen Funktionswandel erfuhr das Gebäude durch Bischof Friedrich II., welcher zwecks Unterbringung seiner Geliebten, für die damalige Zeit luxuriöse Modernisierungen durchführte. Als im 16. Jahrhundert Kurfürst August von Sachsen seinen siebenjährigen Sohn Alexander als Administrator für das Bistum Merseburg einsetzte, begann die militärisch unbrauchbare Burg in ihrer Wertschätzung zu sinken und wurde landwirtschaftlich genutzt. Der Dreißigjährige Krieg zerstörte bzw. beschädigte Brücke und Burg.
Einen Aufschwung erfuhr sie in der Mitte des 17. Jh. durch den das neu geschaffene Fürstentum Sachsen-Merseburg regierenden Herzog Christian I., der hier der Jagd frönte und umfangreiche Baumaßnahmen durchführte. Nach seinem Tod versank das Kammergut Liebenau im Strudel skandalös inkompetenter Nachfolgen in der Bedeutungslosigkeit, ein Prozess, der sich mit seiner Zuordnung zu Preußen nach dem Wiener Kongress 1815 fortsetzte. Der letzte Besitzer bewirtschaftete die Burganlage mit dem dazugehörigen Landbesitz bis zu seiner Enteignung im Jahre 1945. (Ausführlich nachzulesen in: Bischofsburg Burgliebenau von Matthias Prasse und noch ausführlicher: Reinhard Schmitt: Das Schloss in Burgliebenau, Augenblicke Bd. 2).
Mit der neuen Besitzerfamilie Prasse erfährt das historische Bauwerk einen mühselig-liebevollen aber auch kompetenten Neuanfang. Jedes verzehrte Kaffeegedeck, jeder verkosteten Likör, der sich in der Regel mit der Familiengeschichte in Zusammenhang bringen ließ, hilft bei der Realisierung der hochgesteckten Ziele. In der bereits nahezu fertig restaurierten Bibliothek konnten sich die Besucher eine Vorstellung machen, welches Potenzial hier vorhanden ist, ebenso im Bischofs- und Herzogssaal, die gastronomisch genutzt werden. Die Mitglieder des Luppenauer Fördervereins interessierten sich für die Kapelle, die noch von den Farben des Jugendclubs charakterisiert wird, die Kellerräume mit ihren gewaltigen Mauern, die Trophäensammlungen und zahllosen Fotografien und Stiche aus der Vergangenheit.
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Die Veranstaltung endete mit der handfesten Auseinandersetzung zweier Vereinsmitglieder um mittelalterliche eiserne Schandmasken, die sie wechselseitig aufsetzten und sich nicht einigen konnten, wer mit welcher bessere Figur machte. Bitte entscheiden Sie, www.luppenau.de!
So wie sich diese in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Ausfahrt des Luppenauer Fördervereins in unserem Gedächtnis festsetzen wird, brauchen wir uns um das Vergessen der Bischofsburg wohl nicht mehr zu sorgen.
Ilja Bakkal